Flexiblerer Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand
mit dem Flexirentengesetz
Auch als Rentner noch in kleinem Umfang in seinem Beruf arbeiten und etwas Geld hinzuverdienen – das wünschen sich etliche ältere Menschen. Der Gesetzgeber fördert dies mit dem Flexirentengesetz und federt damit auch den Nachwuchsmangel ab.
ULRICH RÜSING, Rechtsanwalt für Arbeits- und Sozialrecht, erklärt die neuen Regelungen.
Am 13.12.2016 ist das „Gesetz zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben“ (Flexirentengesetz, BGB Blatt I 2016, Seite 2838 ff.) veröffentlicht worden. Um alte Menschen möglichst lange im Erwerbsleben zu halten, sollen sie die Möglichkeit erhalten, ihren Übergang in den Ruhestand flexibel, selbstbestimmt und gemäß ihrer individuellen Lebensentwürfe zu gestalten. Darüber hinaus soll es durch das Gesetz attraktiver für Arbeitnehmer werden, über die Regelaltersgrenze hinaus zu arbeiten, beziehungsweise für Arbeitgeber den Anreiz steigern, ältere Menschen zu beschäftigen.
Wie wird gerechnet?
In unserem Beispiel (s. Kasten) überschreitet Schwester Edeltraud die Grenze des Freibetrags von 6.300 € und verdient im Jahr 18.120 €. Nach Abzug des Freibetrages wird von ihrem Verdienst 40 % eines Zwölftels dieses überschreitenden Betrages auf die monatliche Rente angerechnet: Schwester Edeltraud überschreitet den Freibetrag um 11.820 €. Ein Zwölftel von 11.820 € sind 985 €. Hiervon werden 40% monatlich auf die Rente angerechnet, also 394 €. Schwester Edeltraud bekommt somit neben ihrem Verdienst von 1.510,00 € monatlich noch 556,00 € (950,00 € Rente – 394,00 €) von ihrer Rente ausgezahlt, insgesamt somit 2.066,00 €. Soweit rechnet sich ihr Hinzuverdienst.
Der „Hinzuverdienstdeckel“
Es wurde allerdings vom Gesetzgeber eine Obergrenze für den Hinzuverdienst eingeführt, der sogenannte „Hinzuverdienstdeckel“. Wird dieser „Hinzuverdienstdeckel“ durch die sich ergebende Teilrente zusammen mit 40% von einem Zwölftel des jährlichen Hinzuverdienstes überschritten, wird der übersteigende Betrag sogar zu 100% zusätzlich auf die Rente angerechnet und schmälert diese. Dieser „Hinzuverdienstdeckel“ errechnet sich aus dem höchsten beitragspflichtigen Durchschnittseinkommen des Rentners der letzten 15 Jahre vor Rentenbeginn. Schwester Edeltraud erhält somit neben dem Freibetrag von 6.300 € solange 60 Cent jedes mehr verdienten Euros, bis sie ihren persönlichen „Hinzuverdienstdeckel“ erreicht. Dieser ist von dem höchsten Verdienst der letzten 15 Jahre abhängig. Die Bestimmung des „Hinzuverdienstdeckels“ erfolgt nach der Formel: „monatliche Bezugsgröße mal Entgeltpunkte des Kalenderjahres mit den höchsten Entgeltpunkten aus den letzten 15 Kalenderjahren vor Beginn der Rente.“
Die monatliche Bezugsgröße ist eine dynamische Rechengröße im Rentenrecht und orientiert sich am durchschnittlichen Arbeitsentgelt aller Rentenversicherten des vorvergangenen Jahres in den alten Bundesländern (2018 = 3.045,00 € monatlich). Eine Unterscheidung zwischen alten und neuen Bundesländern entfällt hierbei. Allerdings ist im Rahmen der Hinzuverdienstberechnung Folgendes zu beachten: Die Deutsche Rentenversicherung stellt zur vorläufgen Festlegung der Hinzuverdienstgrenze eine Prognose auf, welche den voraussichtlichen Hinzuverdienst des Versicherten im laufenden und im folgenden Kalenderjahr berechnet. Dabei wird das erwartete Einkommen mit dem Freibetrag von 6.300 € verglichen und die Rente dann für die Zeit vom 1. Juli desselben und vom 1. Januar des kommenden Jahres an festgesetzt. Im Folgejahr vergleicht die Rentenversicherung dann zum 1. Juli die Prognose mit dem tatsächlichen Hinzuverdienst „centgenau“. Überzahlungen sind dann an die Rentenversicherung zurückzuzahlen, zu geringere Zahlungen werden nachgezahlt.
Hinzuverdienst bei Erreichen der Regelaltersgrenze
Unverändert bleibt im Übrigen, dass bei Erreichen der Regelaltersgrenze unbegrenzt hinzuverdient werden darf. Die Regelaltersgrenze ist ein feststehender Begriff in der Rentenversicherung und bezeichnet den Zeitpunkt, ab dem der Versicherte Regelaltersrente in Anspruch nehmen kann, selbstverständlich abhängig von der rechtzeitigen Antragstellung des Versicherten. Die Regelaltersrente ist für vor dem 1.1.1947 Geborene die Vollendung des 65. Lebensjahres. Bei Versicherten der Geburtsjahrgänge 1947–1963 liegt die Grenze zwischen 65 und 67 Jahren. Versicherte der Geburtsjahrgänge 1964 und jünger erreichen die Regelaltersgrenze mit Vollendung des 67. Lebensjahres. In unserem Beispiel wird daher die Rentenversicherung den voraussichtlichen Verdienst von Schwester Edeltraud im laufenden und im folgenden Jahr errechnen und vorläufg prognostisch eine Hinzuverdienstgrenze festsetzen. Sollte diese Hinzuverdienstgrenze überschritten werden, muss Schwester Edeltraud den Betrag zurückzahlen. Auf Vertrauensschutz kann sie sich hier nicht berufen
Nur teilweise Inanspruchnahme der Rente – selbstbestimmte Teilrente
Es besteht außerdem die Möglichkeit, die Höhe einer Teilrente (und damit auch die Hinzuverdienstgrenze, die sich aus der Höhe der Teilrente ergibt) von vornherein selbst festzulegen. Schwester Edeltraud könnte somit sagen, dass sie mindestens 10 %, höchstens jedoch 99 % ihrer Vollrente beantragen möchte. Damit kann sie ihre Hinzuverdienstgrenze selbst beeinflussen. Sie muss diese Hinzuverdienstgrenze allerdings dann auch einhalten. Interessant ist eine solche selbstbestimmte Teilrente für viele Personen, da die nur teilweise Inanspruchnahme von Rente dazu führt, dass bei späterer höherer Altersrente der Rententeil, den man nicht in Anspruch genommen hat, einen geringeren Abschlag erhält als der bereits vorzeitig bezogene Rentenanteil. Mit dem üblichen Rentenabschlag von 0,3 % pro Monat werden nur diejenigen Entgeltpunkte versehen, die auch vorzeitig in Anspruch genommen wurden. Zudem kann ein grundsätzlich in der Rentenversicherung versicherungsfreier Altersrentenbezieher, der die Regelaltersgrenze erreicht hat, durch Verzicht auf 1% seiner Rente versicherungspflichtig werden und so z.B. als Pflegeperson auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze weitere Rentenanwartschaften durch die Versicherungspflicht bei privater Pflege (§3 SGB VI) erreichen. Auch nach Überschreiten der Regelaltersgrenze ist es damit möglich, von den Rentenbeiträgen der Pflegekasse in seiner späteren Altersrente zu proftieren. Grundsätzlich sind Personen, die eine Vollrente nach Erreichen der Regelaltersgrenze beziehen, allerdings versicherungsfrei in der Rentenversicherung. Schwester Edeltraud könnte somit auf 1% ihrer Altersrente nach Überschreiten der Regelaltersgrenze verzichten und würde, sofern sie privat ihre Mutter pflegt, hiervon noch trotz Regelaltersvollrente durch erhöhte Anwartschaften proftieren.
Verzicht auf die Versicherungsfreiheit
Neu ist in diesem Zusammenhang auch, dass sogar auch Regelaltersrentner nach Erreichen der Regelaltersgrenze durch eine Erklärung gegenüber ihrem Arbeitgeber für die Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses, beziehungsweise bei versicherungspflichtigen Selbstständigen durch Erklärung gegenüber dem Rentenversicherungsträger, auf die Versicherungsfreiheit verzichten können und damit versicherungspflichtig werden (§ 5 Abs. 4 S. 2 SGB VI). Altersrentner, die die Regelaltersrente noch nicht erreicht haben, weil sie zum Beispiel in Folge eines Schwerbehindertenausweises vorzeitig in die Vollrente gehen konnten, bleiben auch bei Bezug einer Vollrente zukünftig versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung. In der Vergangenheit konnten solche Personen keine anwartschaftsbegründenden Zahlungen mehr in die Rentenkasse leisten. Der Arbeitgeber musste nur den sogenannten Arbeitgeberanteil zahlen (aus Wettbewerbsgründen), der jedoch nicht rentenwirksam war. Im Ergebnis bestehen damit verbesserte Hinzuverdienstmöglichkeiten und auch die Möglichkeit, trotz Vollrente und sogar noch nach Erreichen der Regelaltersgrenze die eigene Rente aufzubessern.
Vorzeitiger Rentenbezug
Ein vorzeitiger Rentenbezug – auch als Teilrente – ist mit Abschlägen in Höhe von 0,3% je Monat der früheren Inanspruchnahme verbunden. Rentenabschläge konnten bereits in der Vergangenheit durch zusätzliche Beitragszahlungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze ausgeglichen werden. Dafür ist eine Rentenauskunft erforderlich. Mit den Regelungen der Flexirente besteht seit dem 1.7.2017 die Möglichkeit, dass Versicherte diese Auskunft auf Antrag auch ohne den Nachweis eines berechtigten Interesses schon mit dem vollendeten 50. Lebensjahr erhalten können. Durch zusätzliche Beitragszahlungen können so die Rentenabschläge für die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente ausgeglichen werden. Dies war auch in der Vergangenheit schon möglich, wurde jedoch nur in sehr begrenztem Umfang genutzt, weil ein relativ hoher Beitrag einzuzahlen war und die Einzahlungsmöglichkeit grundsätzlich erst ab einem Lebensalter von 55 Jahren bestand. Um eine zeitliche Streckung zu ermöglichen, wird die Zahlung von Beiträgen nunmehr bereits ab einem Alter von 50 Lebensjahren ermöglicht. Damit können die Menschen früher und flexibler ihren Ausstieg aus dem Erwerbsleben planen und die fnanziellen Folgen des vorgezogenen Rentenzugangs verringern. Sollte sich dann die Lebensplanung ändern und die Rente erst später in Anspruch genommen werden, sind die freiwilligen Zahlungen rentenwirksam. Eine Erstattung erfolgt allerdings nicht. Als weitere Regelung aus dem Flexirentengesetz entfällt der bisher anfallende Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung für Beschäftigte, die die Regelaltersgrenze erreicht haben. Damit wollte der Gesetzgeber die Beschäftigung von Rentnern attraktiver machen.
Hinzuverdienst bei Bezug von
Erwerbsminderungsrenten Auch der Hinzuverdienst für die Bezieher von Erwerbsminderungsrenten ist neu geregelt worden. Die bisherigen auf teilweise zu leistenden Erwerbsminderungsrenten in Höhe von 1/4, 1/3, der Hälfte, 2/3 oder 3/4 der Rente in voller Höhe abgestimmten Hinzuverdienstgrenzen werden durch die jeweilige kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze ersetzt. Sie beträgt nunmehr bei voller Erwerbsminderungsrente ebenfalls kalenderjährlich 6.300 €. Darüber hinausgehender Verdienst wird, wie oben geschildert, unter Berücksichtigung des „Hinzuverdienstdeckels“ prozentual berücksichtigt. Bei Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist es das 0,81-fache der jährlichen Bezugsgröße, vervielfältigt mit den Entgeltpunkten (§ 66 Abs. 1 Nr. 1–3 SGB VI) des Kalenderjahres mit den höchsten Entgeltpunkten aus den letzten 15 Kalenderjahren vor Eintritt der Erwerbsminderung. Im Kern kann man sich merken, dass die Anrechnungsvorschriften bei Erwerbsminderungsrenten und vorgezogenen vollen Altersrenten weitgehend identisch sind. Zu erwähnen ist auch, dass der Gesetzgeber die Berechnung der Erwerbsminderungsrenten verbessert hat, in dem er die Anrechnung von Zurechnungszeiten verbessert hat. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll in den nächsten Jahren eine stufenweise Anhebung der Zurechnungszeiten auf 65 Jahre im Jahre 2024 erfolgen. Die Zurechnungszeit ist diejenige Zeit, die bei einer Rente wegen Erwerbsminderung hinzugerechnet wird, wenn der Versicherte das 62. Lebensjahr bei Eintritt der Erwerbsminderung und Bezug der Rente noch nicht vollendet hatte. Wem ab 2024 eine Erwerbsminderungsrente zusteht, dessen Rente wird dann so berechnet, als hätte er bis zum 65. Lebensjahr gearbeitet und in dieser Zeit so viel verdient, wie im Durchschnitt seines bisherigen Berufslebens.
Fazit
Im Ergebnis schafft das Flexirentengesetz Anreize für ältere Arbeitnehmer, trotz eines erworbenen Rentenanspruchs weiter zu arbeiten. So wird ein flexibleres Arbeiten neben einer Altersrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze durch die Einführung eines jährlichen Verdienstes und einer stufenlosen Anrechnung von Hinzuverdienst über dieser Grenze auf die Rente ermöglicht. Durch die Beschränkung der Rentenversicherungsfreiheit von Altersvollrentnern auf die Zeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze erwerben auch beschäftigte Altersvollrentner bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze zusätzliche Rentenanwartschaften. Danach besteht immer noch die Möglichkeit, auf die Rentenversicherungsfreiheit als Altersvollrentner zu verzichten und weitere Rentenanwartschaften zur Erhöhung des Rentenanspruchs zu erlangen. Schließlich hat der Gesetzgeber sich auch den Erwerbsminderungsrenten zugewandt und hier Verbesserungen eingeführt sowie, was nicht Gegenstand dieses Aufsatzes ist, Prävention und Rehabilitationsansprüche der Versicherten gestärkt. Insgesamt entspricht diese Flexibilisierung sowohl dem politischen Willen des Gesetzgebers, der durch den demographischen Wandel in der Verlängerung der Lebensarbeitszeit einen Baustein zur Schließung personeller Lücken sieht, wie auch dem Wunsch der Arbeitnehmerseite, insbesondere durch Teilzeitarbeitsverhältnisse geschaffene geringe Rentenansprüche aufzustocken. Es bleibt abzuwarten, ob das Flexirentengesetz hierzu das richtige Instrumentarium bietet. Die Neuregelung des Hinzuverdienstrechts soll jedenfalls, so der Wille des Gesetzgebers, in fünf Jahren evaluiert werden. Dabei soll insbesondere untersucht werden, ob damit in erster Linie die Erwerbsbeteiligung älterer Menschen erhöht werden konnte, oder ob unerwünschte Frühverrentungsanreize überwiegen. In diesem Zusammenhang soll auch die Wechselwirkung des neuen Hinzuverdienstrechts auf andere Leistungen der Sozialversicherung untersucht werden. Die Rentenversicherung propagiert die neuen Hinzuverdienstregelungen in der Broschüre „Vorgezogene Altersrente und Hinzuverdienst“ mit folgenden Worten: „Auf einmal ist es soweit: Der letzte Tag in der Firma ist gekommen – und dann ist alles anders. Von einem Tag auf den anderen ändert sich das gesamte Leben. Man ist Rentner. Für viele Menschen ist dies ein großer Einschnitt, der nicht nur Vorteile mit sich bringt: Plötzlich gibt es keine Aufgabe mehr, Kontakte zu lieb gewonnenen Kollegen fehlen und auch der Arbeitgeber hätte gern noch von dem Fachwissen und dem Potenzial seines erfahrenen Mitarbeiters proftiert.“ „Jeder soll nach seiner Fasson selig werden“, sagte bereits der preußische König Friedrich II. Das Flexirentengesetz schafft neue Möglichkeiten des Übergangs vom Erwerbsleben in die Rente. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob die Möglichkeiten, die das neue Gesetz bietet, auch ein gangbarer Weg in der Alten- und Krankenpflege für ihn sind.
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