Die Rechtslage unter Berücksichtigung des Urteils des
Europäischen Gerichtshofs zur Arbeitszeiterfassung
Überstunden infolge Personalmangels oder krankheitsbedingter Ausfälle, Dokumentationen, die in der Pause fertiggestellt werden, Übergabeberichte an Kollegen nach Feierabend oder lang andauernde Teamsitzungen und „freiwillige“ Fortbildungen –
besteht für diese Zeiten ein Recht auf Vergütung? Ulrich Rüsing, Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht, informiert über die aktuelle Rechtslage.
Anlässe zu „freiwilliger“ Mehrleistung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Pflegeheimen, ambulanten Institutionen, aber auch in Krankenhäusern und Arztpraxen gibt es reichlich. Rund 9,5 Millionen Überstunden erbrachten die Beschäftigten in der Altenpflege im Jahre 2016; 3,4 Milionen davon unbezahlt. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Fraktion
„Die Linke“ im Bundestag zu den Arbeitsbedingungen in der Altenpflege hervor (Antwort der Bundesregierung, Drucksache 19/608 vom 02.02.2018).
Eher zum Schmunzeln regt da der Fall an, den das Arbeitsgericht Frankfurt am Main (Beschluss vom 02.09.2003, Az. 4 BV 582/02) zu entscheiden hatte. Der Arbeitgeber hatte sich gegen die Überschreitung einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit mit dem Argument zur Wehr gesetzt, einzelne Mitarbeiter hätten freiwillig sogar bis 24 Uhr gearbeitet und er habe dies nicht unterbinden müssen. Das Gericht urteilte, dass der Arbeitgeber die arbeitswütigen Mitarbeiter „zwangsweise“ nach Hause schicken müsse, um die Einhaltung der abgeschlossenen Betriebsvereinbarung zu gewährleisten.
Das Praxisbeispiel auf Seite 45 schildert einen umgekehrten Vorgang aus der Gastronomiebranche. Dieser dürfte weitaus häufiger gerade auch in der personell chronisch unterbesetzten Pflegebranche zutreffen.
Durchhaltevermögen ist gefragt
Die Schwierigkeit der Durchsetzung von Mehrarbeits- und Überstundenvergütung ist ein immer wieder in der gerichtlichen und anwaltlichen Praxis vorkommender Fall.
Was sind Mehrarbeit und Überstunden?
Die Mehrleistung von Arbeitnehmern ist durch die Begriffe Mehrarbeit und Überstunden geprägt. Überstunde ist jede Arbeitsstunde, welche die tariflich, betrieblich oder arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitszeit im Rahmen der gesetzlichen Höchstarbeitszeit überschreitet.
Demgegenüber ist Mehrarbeit, die gesetzlich zulässige Arbeitszeit gemäß § 3 Arbeitzeitgesetz überschreitende Arbeitszeit. Auch für die unzulässige Mehrarbeit besteht gemäß § 612 Abs. 1 BGB ein Vergütungsanspruch.
Das Beschäftigungsverbot, das aus den Grenzen des
- 3 Arbeitszeitgesetz folgt, bezweckt, die Arbeitsleistung und damit eine Überforderung des Arbeitnehmers zu verhindern, nicht aber den Vergütungsanspruch auszuschließen. Mehrarbeit ist somit auch zu vergüten, sofern die Arbeitzeitgrenzen des Arbeitszeitgesetzes überschritten werden.
Die Bezahlung von Überstunden und Mehrarbeit ist grundsätzlich in einem Arbeitsvertrag oder einem Tarif- vertrag zu regeln. Ist die Vergütung für die regelmäßige Arbeitszeit im Arbeitsvertrag bestimmt, sind Überstunden anteilig zu vergüten, wenn es an einer besonderen Regelung im Arbeitsvertrag fehlt.
Der Arbeitnehmer hat somit für jede Mehrarbeitsstunde, sofern es an einer vertraglichen oder tariflichen Regelung fehlt, Anspruch auf die gleiche Stundenvergütung, die er für regelmäßige vertragliche Arbeitszeit erhält.
Hat Amelie Reihmann* Anspruch auf die Vergütung ihrer Mehrarbeitsstunden?
Amelie Reihmann arbeitete als Restaurantleiterin in einem Hotel. Mit ihrer vor dem Arbeitsgericht Stralsund eingereichten Klage verfolgte sie Vergütungsansprüche in der Zeit vom 15.05.1999 bis 30.09.1999 und behauptete, diese seien in dem von ihr vorgetragenen Umfang geleistet worden und erforderlich gewesen. Das Arbeitsgericht wies die Klage mit der Begründung zurück, die Klägerin habe die von ihr behaupteten Arbeitszeiten und die sich daraus ergebenden Überstunden jeweils nach Tag und Uhrzeit hinreichend dargelegt, könne jedoch deren Ableistung, Erforderlichkeit, Anordnung oder Genehmigung nicht beweisen. Ihren eigenen, bei Gericht vorgelegten Arbeitszeitaufzeichnungen komme insoweit keine Indizwirkung zu, da die Arbeitgeberin zwar die entsprechenden Aufzeichnungen in den Dienstplänen für die Zeit von Mai bis Juli 1999 abgezeichnet habe, jedoch nicht davon ausgegangen werden könne, dass sie damit ihre, teilweise mit wochenlanger Verzögerung vorge- legten Eintragungen habe als richtig anerkennen wollen. Soweit Amelie Reihmann sich für die Arbeitszeiten im August und September auf ihre Arbeitskollegin Korina Werner* als Zeugin für die Ableistung der Überstunden beziehe, sei diese nicht zu hören, da aufgrund der Arbeitszeiten nicht davon auszugehen sei, dass diese den vollen Umfang bestätigen könne. Die Klägerin verweist auf § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz, wonach der Arbeitgeber verpflichtet sei, Mehrarbeitszeiten aufzuzeichnen.
Die Kollegin als Zeugin
Das Ende der Arbeitszeit ergäbe sich im Übrigen auch aus den Aufzeichnungen der Tageskasse, wobei etwa 30 bis 60 Mi- nuten Aufschlag zu berechnen sei, die Amelie Reihmann über die Kassenabschlusszeiten hinaus gearbeitet habe, weil sie
- a. noch das Frühstücksbuffet für den kommenden Morgen eindecken musste. Außerdem hätte sie an zahlreichen Tagen für einen Teil der Tages- und Nachtzeit gemeinsam mit ihrer Arbeitskollegin, Korina Werner, gearbeitet.
Die Verteidigung der Arbeitgeberin
Die Arbeitgeberin verteidigt sich gegen dieses Vorbringen damit, dass die Dienstpläne unvollständig ausgefüllt seien und ihren Abzeichnungen daher kein Beweiswert zukomme. Sie entsprächen im Übrigen nicht den Aufzeichnungen der Tages- kasse. Amelie Reihmann sei ihrerseits als Arbeitnehmerin verpflichtet gewesen, die taggleichen Aufzeichnungen ihrer Ar- beitszeit vorzunehmen, was sie nicht gemacht habe. So sei ihr jede Möglichkeit zur Erfassung von Überstunden verwehrt gewesen. Die Arbeitskollegin sei als Zeugin zum Beweis der Überstunden ungeeignet, weil sie nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht die gleiche Arbeitszeit gehabt habe, sondern nur teilweise mit ihr zusammengearbeitet habe. Außerdem seien die Arbeitszeiten der Klägerin in den Dienstplänen teilweise erst nachgetragen worden, nachdem sie, die Arbeitgebe- rin, sie bereits abgezeichnet hätte.
Erstinstanzlich verlor Amelie Reihmann den Prozess. Zweitinstanzlich wurde ihr die Mehrarbeitsvergütung in Höhe von 1.130,31 € von 2.624,17 € brutto zuerkannt (Fall dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern, 10.05.2001, Az. 1 Sa 280 / 00, nachgebildet).
* Namen von der Redaktion geändert
Die Vergütung von Überstunden
Die Pflichten des Arbeitnehmers
Verlangt der Arbeitnehmer seine Vergütung für Überstunden, hat er darzulegen und ggf. zu beweisen, dass er Arbeit in einem die normale Arbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat. Dabei genügt der Arbeitnehmer seiner auch im Prozess ihm obliegenden Darlegungslast, indem er vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat.
Die Pflichten des Arbeitgebers
Bestreitet der Arbeitgeber diese Überstunden, so hat er in einem gerichtlichen Verfahren, in dem es um Bezahlung der Über- stunden geht, hierauf im Einzelnen zu erwidern und vorzutragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat oder in welchen Teilen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen nicht nachgekommen ist. Er muss also das Vorbringen des Arbeitnehmers dezidiert und durch Vorbringen von Tatsachen infrage stellen. Klagt ein Arbeitnehmer in einem vom Arbeitgeber abgezeichneten Dienstplan ausgewiesene Überstundenvergütungsansprüche ein, so hat der Arbeitgeber die umfassende Verpflichtung darzulegen, dass dieser Saldo fehlerhaft ist. Diesen Nachweis kann er in aller Regel nur durch Vorlage der Dienstpläne aus der Vergangenheit führen.
Die Unterschrift ist entscheidend
Im Fall von Amelie Reihmann (siehe Praxisbeispiel) bestätigte das Landesarbeitsgericht zunächst die Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts, dass die vom Arbeitnehmer selbst gefertigten Arbeitszeitaufzeichnungen keinen Beweis da- für erbringen, dass die sich daraus ergebenden Überstun- den geleistet worden sind und erforderlich waren oder vom Arbeitgeber gebilligt worden sind. Etwas anderes könne jedoch gelten, wenn in einem Betrieb, in dem regelmäßig Arbeitszeitschwankungen auftreten können, wie dies in dem saisonabhängigen Restaurantbetrieb der oben genannten Arbeitgeberin unstreitig der Fall sei, die vom Arbeitnehmer selbst geführten Arbeitszeitaufzeichnungen das einzige Mittel zur Erfassung der Arbeitszeiten darstellen und sie dem Arbeitgeber oder seinem Beauftragten zur Kenntnis vorge- legt und von ihm abgezeichnet werden. In diesem Fall, so das Landesarbeitsgericht, könne die Abzeichnung durch den Arbeitgeber oder seinen Beauftragten nur die Bedeutung haben, dass die aus den Arbeitszeitaufzeichnungen ersichtichen Überstunden als geleistet und erforderlich anerkannt werden. Hätte der Arbeitgeber oder sein Beauftragter Zweifel an der Richtigkeit der Aufzeichnungen, stünde es ihnen frei, die Gegenzeichnung der Arbeitszeitaufzeichnungen zu verweigern oder mit einem entsprechenden Vorbehalt zu versehen. Tut er dies nicht, so indiziert seine Unterschrift sein Einverständnis mit den von dem Arbeitnehmer vorgelegten Zeitangaben und den daraus sich ergebenden Überstunden, unabhängig davon, wann diese ihm vorgelegt worden sind. An die Beweislast des Arbeitnehmers hinsichtlich der Ab- leistung von Überstunden dürften keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Der Betrieb halte keine andere Möglichkeit der Arbeitszeiterfassung vor, sodass der Arbeitnehmer darauf vertrauen können müsse, dass über die un- terschriftliche Bestätigung seines Arbeitgebers hinaus keine weiteren Vorkehrungen zum Beweis der von ihm geleisteten Arbeitszeiten getroffen werden müssen. Insoweit sprach das Landesarbeitsgericht Amelie Reihmann die Vergütung der in der Zeit von Mai bis Juli 1999 geleisteten Arbeitsstunden bereits aufgrund der im Dienstplan abgezeichneten Arbeitszeiten zu.
Erfahrungswerte beweisen keine Überstunden
Für die Monate August und September 1999 gab es solche abgezeichneten Dienstpläne nicht. Das Arbeitsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Arbeitskollegin Korina Werner nicht imstande sei, die Arbeitszeitangaben der Klä- gerin zu bestätigen, da sich ihre Arbeitszeiten mit denen der Klägerin nur bei Arbeitsbeginn überschnitten, jedoch nicht bei deren Arbeitsende. Auch ein regelmäßiger Erfahrungs- satz, dass nach Kassenschluss noch 30 bis 60 Minuten mit Vorarbeiten für den Folgetag anfielen, existiere nicht. Die Klage von Amelie Reihmann scheiterte hinsichtlich der Über- stundenvergütung für August und September 1999 daran, dass es ihr nicht gelungen war, die tatsächliche Erbringung der Überstunden zu beweisen.
Es stellt sich hier weiter die Frage, inwieweit das Nicht- vorhandensein einer Arbeitszeiterfassung, z. B. in Form einer Stechuhr oder einer Zeiterfassungs-App, sich grundsätzlich auf die Beweislast der Klägerin auswirkt.
Die Rechtslage der Arbeitszeiterfassung nach deutschem Recht
Nach § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz ist der Arbeitgeber nur verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 S. 1 Arbeitszeitgesetz hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitneh- mer aufzuzeichnen. Die Nachweise sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Alle Zeiten, die über acht Stunden hinausgehen, müssen also vom Arbeitgeber erfasst und für zwei Jahre dokumentiert werden. In bestimmten Arbeitsver- hältnissen, etwa bei Minijobs oder Schichtarbeit, ist es bereits jetzt Pflicht, die Arbeitszeit zu erfassen. Für Kraftfahrer oder im öffentlichen Dienst gibt es ebenfalls Vorschriften zur Dokumentation der Arbeitsstunden. Nicht erfasst werden die Arbeitszeiten dagegen häufig in Branchen, in denen flexibel gearbeitet und Mitarbeiterinnen sowie Mitarbeiter viel un- terwegs sind: Dies ist z. B. beim Homeoffice oder bei Berate- rinnen und Beratern im Außendienst der Fall. Der Aufzeich- nungspflicht aus § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz unterliegt auch jegliche Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen. Eine bestimmte Form der Aufzeichnung der Arbeitszeit ist dem Arbeitgeber nicht vorgeschrieben. Stundenzettel, Stempeluhr, Stempel- karten, Lohnlisten oder Arbeitszeitkarten, auf denen die vom Arbeitnehmer geleistete Arbeitszeit festgehalten wird, sind ebenso zulässig wie elektronische Datenverarbeitungsan- lagen und sonstige Zeiterfassungssysteme, sofern die dort gespeicherten Daten für die Arbeitsaufsichtsbehörde jeder- zeit abrufbar sind. Die Aufzeichnungspflicht trifft den Arbeit- geber und ist mit einem Bußgeld bedroht. Allerdings darf der Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht an den Arbeitnehmer delegieren. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bun- desarbeitsgerichts müssen Überstunden nur vergütet werden, sofern diese vom Arbeitgeber angeordnet oder ausdrücklich gebilligt wurden. Die Darlegungs- und Beweislast bezüglich der geleisteten Überstunden sowie bezüglich der Anordnung oder Billigung trifft den Arbeitnehmer (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.04.2013, Az. 5 AZR 122 / 12).
Arbeitnehmer, die im Prozess von ihrem Arbeitgeber die Bezahlung von Überstunden fordern, müssen somit darlegen, an welchen Tagen und zu welchen Tageszeiten sie über die übliche Arbeitszeit hinaus tätig geworden sind. Sie müssen auch eindeutig vortragen, ob die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet oder diese vom Arbeitgeber gebilligt wurden. An dieser Beweislast des Arbeitnehmers ändert die Verlet- zung der Aufzeichnungspflicht aus § 16 Abs. 2 Arbeitszeitge- setz nichts. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer bisher we- nig beachteten Entscheidung bereits im Jahre 2003 bestimmt, dass diese Pflicht des Arbeitgebers gegenüber den Behörden besteht. Der Arbeitgeber hat die Aufzeichnungen also vor- zuhalten. Er darf deshalb auf die exakte Feststellung der
Ist-Zeiten nicht verzichten. Benutzt er zur Zeiterfassung kein elektronisches System, sondern vertraut er auf die Selbstaufschreibung der Arbeitnehmer, muss er durch wirksame Kontrollen gewährleisten, dass die Arbeitszeiten zutreffend aufgeschrieben wurden. Auch der Betriebsrat darf nach § 80 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz diese Aufzeichnungen nach
- 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz anfordern. Eine Erfassung der gesamten Arbeitszeit, einschließlich der regulären Arbeitszeit, war bisher gesetzlich nicht vorgeschrieben.
Urteil zur Arbeitszeiterfassung des Europäischen Gerichtshofs
Waren bislang Arbeitgeber nur verpflichtet, Überstunden zu dokumentieren, also jede zusätzliche Arbeitsstunde nach acht Stunden zu erfassen, soll dies sich in Zukunft ändern. Der Europäische Gerichtshof hat in einem viel kritisierten Urteil entschieden, dass die EU-Staaten ihre Arbeitgeber verpflichten müssen, jede Arbeitsstunde ihrer Mitarbeiter genau zu erfassen. In der Begründung des Gerichtshofes heißt es, dass ohne ein solches System weder die Arbeitsstunden noch die Überstunden „objektiv und verlässlich ermittelt“ werden können.
Für Arbeitnehmer sei es daher „äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich“, ihre Rechte durchzusetzen (Europäi- scher Gerichtshof, Urteil vom 14.05.2019, C-55 / 18).
Geklagt hatte eine spanische Gewerkschaft vor dem na- tionalen Gerichtshof in Spanien. Sie wollte eine Bank ver- pflichten, die täglich geleisteten Stunden der Arbeitnehmer vollständig aufzuzeichnen. In Spanien besteht bislang nur eine Pflicht zur Erfassung von Überstunden. Dies sei nach Auffassung der Gewerkschaft aber nicht ausreichend. Der nationale Gerichtshof in Spanien legte die Frage dem Europäischen Gerichtshof vor. Dieser entschied nun im Sinne der Gewerkschaft. Er vertrat die Ansicht, die Verpflichtung zur systematischen Erfassung der Arbeitszeit ergäbe sich aus der Charta der Grundrechte der EU sowie der Arbeitszeitrichtlinie. Hieraus folge ein Grundrecht eines jeden Arbeitnehmers auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten.
Auswirkung auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Folge des Urteils des Europäischen Gerichtshofes ist, dass die EU-Mitgliedstaaten die Aufgabe haben, Arbeitgeber zu verpflichten, ein objektiv verlässliches und zugängliches Sys- tem zur Arbeitszeiterfassung vorzuhalten. Dabei können die einzelnen Länder eigenständig über die konkrete Umset- zung und Art des Systems entscheiden. Zulässig sei dabei, Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder der Eigenheiten bestimmter Unternehmen, wie etwa der Größe, Rechnung zu tragen. Derzeit besteht diese Verpflichtung noch nicht. Der deutsche Gesetzgeber hat ein entsprechen- des Umsetzungsgesetz noch nicht verabschiedet. Das Urteil wird nach dessen Umsetzung zumindest dafür sorgen, dass solche Arbeitgeber auffallen, die Arbeitnehmer mit illegalen Arbeitszeiten beschäftigen.
Ob es letztendlich zur Transparenz der Überstundenableis- tung beiträgt, ist zweifelhaft. Ein Meilenstein wäre es, wenn das Urteil des Europäischen Gerichtshofes Anlass dazu gäbe, die Beweislast des Arbeitnehmers zu überdenken, und zwar in dem Sinne, dass der Arbeitgeber anhand von Aufzeich- nungen für die Arbeitszeit die Beweislast zu tragen hat, dass keine Überstunden angefallen sind. Diese Konsequenz des Urteils des Europäischen Gerichtshofes wird jedoch in der juristischen Literatur aus an dieser Stelle zu weit führenden Rechtsgründen abgelehnt (vgl. z. B. Rechtsanwalt Dr. Ulrich Sittard u. a. in Juris, Die Monatszeitschrift, „Das Ende der Vertrauensarbeitszeit? Das EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung“).
Letztlich wird auch die Verpflichtung des Arbeitnehmers, nachzuweisen, dass die Arbeitsstunden über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus vom Arbeitgeber angeordnet wurden oder betriebsnotwendig waren bzw. billigend ent- gegengenommen werden, durch eine durchgängige Doku- mentation nicht ersetzt. Der Arbeitgeber kann nach wie vor behaupten, der Arbeitnehmer habe die geleistete Arbeits- zeit, die er durch das Arbeitszeiterfassungssystem nachweist, freiwillig und ohne Anordnung und ohne Notwendigkeit vorgenommen. Auch hier bliebe der Arbeitnehmer in der Beweispflicht.
Fazit
Im Ergebnis muss daher festgestellt werden, dass die Durch- setzung von Mehrarbeitsvergütungsansprüchen und insbe- sondere solchen, die weit zurückliegend sind, für den Arbeit- nehmer mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sind und bei fehlender Aufzeichnung und Beweisbarkeit regelmäßig vor dem Arbeitsgericht scheitern. Es ist daher den Arbeitneh- mern nur der Rat zu geben, Arbeitsstunden, die über die regu- läre Arbeitszeit hinausgehen, sich von Arbeitgeberseite ab- zeichnen zu lassen. Das Abzeichnen als solches ist, wie dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern zu entnehmen ist, jedenfalls ein Indiz für deren Ableistung und deren Erforderlichkeit, welches die Beweislast umkehrt. Dies gilt jedenfalls so lange, wie ein von Arbeitnehmerseite zu benutzendes Arbeitszeiterfassungssystem nichts Gegenteiliges anzeigt.
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